Auf den Spuren der Bagger

Präsentiert auf der ersten Info-Versammlung der Initiative „Denk mal an Kempen“ am 10. April 2014 im Kolpinghaus

Die Diskussion um den Abbruch des Baudenkmals Peterstraße 20 weckt Erinnerungen an Sanierungs-Sünden und Bau-Frevel vergangener Jahre. Hier eine Zeitreise auf den Spuren der Bagger in Kempen.

Der Abbruch historischer Gebäude hat in Kempen Tradition. Heute schwer vorstellbar: Von 1854 bis 1888 wurde dreimal der Antrag gestellt, das Kuhtor abzubrechen! Aber die Düsseldorfer Regierung weigerte sich, den Bürgern das „Verkehrshindernis“ preiszugeben.

 

Zerstörung nach dem Zweiten Weltkrieg (Bild: Kreisarchiv)

Die Kempener Burg nach dem Bombentreffer vom 11. Januar 1943 (Bild: Kreisarchiv)

Durch den von den Nazis angezettelten Krieg wurde die Altstadt schwer beschädigt. Fast wäre sie ganz untergegangen: Kurz vor Kriegsende riefen die Kempener Nationalsozialisten zum „Widerstand bis zum letzten Stein“ auf. Hätten sie sich vor der Übergabe der Stadt nicht feige abgesetzt und es wäre tatsächlich zu einem solchen kriminellen Zerstörungsakt gekommen, dann hätten wir heute keine Altstadt mehr. Aber auch ohne einen solchen Vandalismus wurden 148 Häuser zerstört oder schwer beschädigt – wie die Burg.

 

Das alte Rathaus am Markt (Bild: Nachlass Karl Wolters)

Das alte Rathaus am Markt (Bild: Nachlass Karl Wolters)

 

Das zerstörte alte Rathaus am Markt (Bild: Stadtarchiv)

Das zerstörte alte Rathaus am Markt (Bild: Stadtarchiv)

Eine Ruine war auch das alte Rathaus am Markt, die Waage, errichtet im Jahre 1749. 1946 wurde sie abgerissen. Dieses Rathaus mit seiner vorspringenden Laube war im Rheinland das einzige seiner Art nördlich von Köln.

 

Das neue Rathaus (Bild: Hella Furtwängler)

Das neue Rathaus (Bild: Hella Furtwängler)

1967 wurde das historische Gebäude durch ein „modernes“ ersetzt. Die Frage ist, ob das neue Haus gegenüber dem alten ein Gewinn ist. Die Frage ist vor allem, ob man den bemerkenswerten Laubengang nicht in den Neubau hätte integrieren können.

 

Rathaus in Erkelenz (Bild: Website Stadt Erkelenz)

Rathaus in Erkelenz (Bild: Website Stadt Erkelenz)

Eine Wiederherstellung wäre nicht möglich gewesen? Ein Gegenbeispiel: Auch das Rathaus in Erkelenz war stark zerstört worden. 1956 wurde es nach jahrelangen Bauarbeiten mit seinem Laubengang wieder in alter Pracht eingeweiht.

 

Das historische Stadthaus der von der Leyens in Krefeld (Bild: Website der Stadt Krefeld)

Das historische Stadthaus der von der Leyens in Krefeld (Bild: Website der Stadt Krefeld)

Das wäre nicht möglich gewesen? In Krefeld hat man beispielsweise das historische Stadthaus der von der Leyens, 1794 errichtet, neu aufgebaut und um moderne Anbauten erweitert: 1955 und 1985.

 

Luftbild von Kempen mit markierten Neubauten, die nach dem Krieg ältere Gebäude verdrängten (Bild: Werner Schlünkes, Bearbeitung: Hella Furtwängler)

Luftbild von Kempen mit markierten Neubauten, die nach dem Krieg ältere Gebäude verdrängten (Bild: Werner Schlünkes)

Seither ist Alt-Kempen weiter abgebröckelt. Seit dem Ende des Krieges sind zwischen den Ringen mehr als 100 Häuser abgebrochen und durch Neubauten ersetzt worden. Das wird auf diesem Luftbild deutlich. Markiert sind alle Neubauten, die nach dem Krieg ältere Gebäude verdrängten; wohl gemerkt, nicht die neu bebauten Baulücken, ehemaligen Gärten, Höfe etc. Nur die gestrichelten Markierungen bezeichnen kriegsbedingte Baulücken.
Nicht alles, was alt ist, muss erhalten werden. Wir aber wollen jetzt einige Bilder von Häusern zeigen, die heute noch stehen könnten, wenn man für ihre Instandhaltung ein wenig mehr Geld und Mühe verwendet hätte.

 

Haus Foerster (Bild: Kreisarchiv)

Haus Foerster (Bild: Kreisarchiv)

Aber: Das Aus für die meisten Häuser wurde nicht durch den Krieg verursacht. Im Gegenteil: Es kam, als Frieden zur Gewohnheit wurde und der Wohlstand stieg. Hier Haus Foerster, an der Burgstraße, wo um 1860 der erste Weihnachtsbaum in Kempen gebrannt hatte, Es gehörte der Familie des ersten Kempener Industriellen. 1749 hatte Franz Theodor Foerster eine Wachsbleicherei gegründet. Durch die Toreinfahrt links gelangte man zu der Wachsbleiche und Kerzenfabrik Foerster, Spülwall 13. Das Aus für das historisch bedeutsame Haus kam 1967. Nach dem Aussterben der wohlhabenden Familie wurde es nach dem Krieg als Mietshaus vergeben und verfiel immer mehr.

 

Protestaktion am Haus Foerster (Bild: Werner Beckers)

Protestaktion am Haus Foerster (Bild: Werner Beckers)

Als der Abbruch vor der Tür stand, kam es zur ersten Protestaktion in Kempen. Einige aufmüpfige junge Leute, darunter der Architekt Heinz Cobbers, hängten an dem todgeweihten Gebäude ein Protestplakat auf.

 

"Kempener Bürger! Kämpft mit uns für dieses einzigartige Bauwerk" (Bild: Werner Beckers)

„Kempener Bürger! Kämpft mit uns für dieses einzigartige Bauwerk“ (Bild: Werner Beckers)

Die Bürger wurden zum Kämpfen aufgefordert – sie taten es nicht.

 

Aktuelle Fassade des Volksbank-Gebäudes

Aktuelle Fassade des Volksbank-Gebäudes (Bild: Hans Kaiser)

So fiel das 100 Jahre alte Bürgerhaus der Fabrikantenfamilie. An seine Stelle trat diese Waschbetonfassade der Volksbank.

 

Das sogenannte Baumeisterhaus aus dem Jahre 1742 (Bild: Hella Furtwängler)

Das sogenannte Baumeisterhaus aus dem Jahre 1742 (Bild: Kreisarchiv)

Große Verkaufsflächen waren nun gefragt und Panoramafenster. Dem Trend zum Konsum und zum funktionalen Einheitsbau fiel so manches Haus zum Opfer. Das wurde nach außen hin damit begründet, dass es nicht mehr zu sanieren sei. Wie das so genannte Baumeisterhaus aus dem Jahre 1742, wo 1809 Kempens erste Apotheke lag. Das Gebäude im lupenreinen Rokoko-Stil lag Judenstraße/Ecke Schulstraße. Errichtet worden war es von dem namhaften Stadtbaumeister Friedrich Vogt. 1970 machte es einer Papierwarenhandlung Platz.

 

Judenstraße heute (Bild: Hella Furtwängler)

Judenstraße heute (Bild: Hans Kaiser)

Heute sieht die Ecke so aus. Ein kaltes Bild – das liegt nicht nur am Schnee.

 

Kempen 1965 - isometrische Darstellung (Bildquelle: Wegweiser nach oben – Die Kunstschätze der Propsteikirche)

Kempen 1965 – isometrische Darstellung (Bildquelle: Wegweiser nach oben – Die Kunstschätze der Propsteikirche)

Die meisten Abbrüche aber hat die Kempener Altstadt-Sanierung verursacht. Anfang der Sechziger Jahre war klar, dass ein großer Teil der Altstadt, wie sie abgebildet ist, sanierungsbedürftig war. Ein großer Teil der Bausubstanz war marode. Der Stadtkern war für den modernen Verkehr nicht geeignet, Parkflächen waren kaum vorhanden. Kleine Handwerksbetriebe, Schuppen und Ställe verstopften die Höfe.

1965 beauftragte die Stadt das Planer-Ehepaar Peter und Marlene Zlonicky aus Essen mit einem Sanierungskonzept. Nach Absprache mit dem Landeskonservator beschloss der Stadtrat 1968 einen Sanierungsplan und verabschiedete in den folgenden Jahren detaillierte Bebauungspläne. Hauptpunkt war die Umwandlung der Innenstadt in eine Fußgängerzone; die Anlage von zwei Erschließungsstraßen und die Freilegung eines Grüngürtels um die Wälle.

 

Stadtsanierung Kempen (Bild: Campunni – Kempen, Aufsätze)

Stadtsanierung Kempen (Bild: Campunni – Kempen, Aufsätze)

Dieser Plan ist in seinen Grundzügen fachlich ausgezeichnet und auch gut gemeint. Aber er entwickelt nun eine Art Eigendynamik. Bald wird sich herausstellen, dass sie nicht zu stoppen ist, denn der Stadtrat will von seinen einmal gefassten Beschlüssen nicht abrücken. Verstehen Sie mich recht: Der größte Teil der Abbrüche war damals notwendig. Nur weil ein Gebäude alt ist, muss es nicht erhalten werden. Aber damals ist auch vieles sinnlos zerstört worden, weil die Einsicht, es zu erhalten, fehlte. In Kempen beginnt nun eine regelrechte Bagger-Rallye, der etwa 60 Gebäude, die meiner Einschätzung nach erhaltenswert waren, zum Opfer fallen.

 

Artikel "Zlonicky: Das wollte ich nicht!" (Bild: RP vom 25.6.1981)

Artikel „Zlonicky: Das wollte ich nicht!“ (Bild: RP vom 25.6.1981)

Am 24. Juni 1981 nimmt der geistige Vater der Altstadtsanierung, Professor Peter Zlonicky, in der Aula der Kempener Realschule an einer Podiumsdiskussion teil. Er zeigt sich entsetzt von der Umsetzung seines Sanierungsplans. Zlonicky wirft der Stadt vor, sich aus seinem Konzept vor allem die ihr genehmen Teile herausgepickt, es aber nicht weiterentwickelt zu haben.

Das wichtigste Argument für den Massenabbruch der alten Bausubstanz ist damals die Finanzierung der Sanierung. Angeblich droht das Land, seine Fördergelder einzustellen, wenn das Sanierungskonzept mit all seinen vorgesehenen Abbrüchen nicht konsequent umgesetzt wird. Aber den Beweis dafür hat die Stadt nie angetreten. Hier einige Streiflichter.

 

Hotel Herriger, heute Weinhaus Straeten (Bilder: Hella Furtwängler)

Hotel Herriger, heute Weinhaus Straeten (Bilder: Hella Furtwängler)

Abgebrochen wurde das erste Hotel am Platze, ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, zunächst bekannt als „Gasthaus zum grünen Wald“, dann als Hotel Herriger. Bis 1956 wurde es unter dem Namen „Hotel Kellersohn“ geführt. Bis Anfang 1970 nutzte die Stadt Kempen es als Wohnheim für Obdachlose. Im Hotel Herriger wurde 1914 der erste Kempener Karnevalsprinz gewählt. Seit 1973 steht hier das Weinhaus Straeten, Studentenacker 17/Ecke Peterstraße.

 

Walter Scheel (Bild: Wikipedia)

Walter Scheel (Bild: Wikipedia)

1975 begeht die EU ihr erstes Denkmaljahr. Schirmherr in Deutschland ist der damalige Bundespräsident Walter Scheel. Der bringt das Anliegen auf den Punkt: „In der Bundesrepublik ist in den Jahren nach 1945 mehr historische Bausubstanz zerstört worden als während des Zweiten Weltkriegs. Unsere Städte und Dörfer drohen gesichts- und geschichtslos zu werden. Sie drohen unorganischer, hässlicher, unpersönlicher zu werden. […] Es geht um den geschichtlich gewachsenen Lebensraum eines jeden Bürgers.“ In Kempen haben ihn nur wenige gelesen, die Verantwortlichen jedenfalls nicht, das zeigen die folgenden Ereignisse.

 

Das alte Kempener Postgebäude (Bild: Nachlass Karl Wolters)

Das alte Kempener Postgebäude (Bild: Nachlass Karl Wolters)

Im Juni 1978 wird das alte Postgebäude am Spülwall abgerissen. Das Jugendstilgebäude lag zwischen Moorenring und Spülwall, mit der Frontfassade parallel zur Thomasstraße. Es ist im Jahre 1899 noch zu Kaiser Wilhelms Zeiten errichtet worden.

Gegenüber, auf der anderen Seite des Moorenrings, ist seit 1975 für drei Millionen Mark ein Neubau entstanden, den man auf Anhieb „Postkasten“ nennt.

 

Neues Postgebäude

Neues Postgebäude (Bild: Hans Kaiser)

 

Fachwerkhaus Ecke Oelstraße/Josefstraße vor dem Abriss (Bild: Kreisarchiv)

Fachwerkhaus Ecke Oelstraße/Josefstraße vor dem Abriss (Bild: Kreisarchiv)

Ende Mai 1980 stirbt das wohl älteste Wohnhaus der Stadt. Ein Fachwerkhaus, das allem Anschein nach aus dem 15 Jahrhundert stammt. Es steht an der Ecke Oelstraße/Josefstraße und muss dem Bau der Heilig-Geist-Straße weichen. Sein Pech: Es ragt anderthalb Meter in den geplanten Straßenzug. Zahlreiche andere Fachwerkhäuser an anderen Straßen folgen.

 

Jugendstilhaus Moorenring 20 (Bild: Kreisarchiv)

Jugendstilhaus Moorenring 20 (Bild: Kreisarchiv)

Am 4. Mai 1978 beschließt der Stadtrat, zwischen Wall und Ringstraße einen Grüngürtel zu schaffen. Das ist das Todesurteil für nahezu alle Häuser zwischen Stadtmauer und Ringstraße. Am 28. Oktober 1980 macht der Bagger das schöne Jugendstilhaus Moorenring 20 platt. Hier war für zwei Jahre das zweite Kempener Jugendheim untergebracht.

 

Haus Ledschbor (Bild: Kreisarchiv)

Haus Ledschbor (Bild: Kreisarchiv)

1974 hat die Stadt das stattliche Haus Ledschbor, Burgstraße 10, für 320.000 Mark aus Sanierungsmitteln des Landes erworben, damit die Orsaystraße bis zum geplanten Parkplatz hinter der Volksbank durchgezogen werden kann. Dann werden von Seiten der Bürger mahnende Stimmen laut, die das schöne Haus erhalten wollen. Mit Erfolg: Die geplante Straßendurchfahrt wird verlegt. Eine Zeitlang werden alle Abbruch-Gerüchte energisch dementiert. Aber der Stadt gelingt es nicht, einen Käufer für das sanierungsbedürftige Gebäude zu finden. Und wenn es nicht, wie vorgesehen, abgebrochen wird, muss sie das Geld an das Land zurückzahlen und zudem für die Straßenverlängerung an anderer Stelle weitere Häuser kaufen. Ergebnis: Im April 1981 wird das Jugendstilhaus Ledschbor mit seinem wunderschönen Treppenhaus platt gemacht.

 

Gründung der Bürgerinitiative "Arbeitskreis Stadtbildpflege" (Bild: RP vom 8.11.1976)

Gründung der Bürgerinitiative „Arbeitskreis Stadtbildpflege“ (Bild: RP vom 8.11.1976)

Bei vereinzelten Widerständen gegen die Bagger-Rallye ist es damals nicht geblieben. Ingrid Wolters, Studienrätin am Thomaeum, gründet eine Bürger-Initiative – den „Arbeitskreis Stadtbildpflege“. Aber Stadtdirektor Hülshoff stellt in Frage, dass sie im Namen der Bürger sprechen kann, und nach einem Jahr gibt die Stadtbildpflege auf. Auch, weil sie sich durch Vereine und Parteien instrumentalisiert fühlt. Doch sie findet eine Nachfolgerin: die Initiative „Bürger für Kempen“ unter Viktoria Müllenbusch.

 

Gebäude der Kreissparkasse (Bild: Nachlass Karl Wolters)

Gebäude der Kreissparkasse (Bild: Nachlass Karl Wolters)

Aber es geht auch anders. Zum Beispiel, wenn man im Stadtrat sitzt und sich gegen seine Fraktion für ein Ende des Abbruchs einsetzt. 1980 kommt es zu heftigen Kontroversen, ob drei besonders bemerkenswerte Bauwerke nicht stehen bleiben sollten: das Haus von Dr. Dowe am Möhlenwall, die Kreissparkasse und die Villa Weyland. Einigen Stadtverordneten gelingt es, die Sparkasse am Donkring, 1913 erbaut, und das Dowe-Haus, im Bauhaus-Stil errichtet, zu retten.

Es geht auch anders – zum Beispiel, wenn man den technischen Nutzen eines Baudenkmals entdeckt. So bleibt das Gartenhäuschen am Möhlenwall, 1773 errichtet, stehen, weil sich in ihm gut eine Trafostation unterbringen lässt. Andernfalls hätte man es platt gemacht.

Gartenhäuschen am Möhlenwall

Gartenhäuschen am Möhlenwall (Bild: Hans Kaiser)

 

Haus Pielen / Et Kempsche Huus (Bilder: Hella Furtwängler)

Haus Pielen / Et Kempsche Huus (Bilder: Hella Furtwängler)

Es geht auch anders, zum Beispiel, wenn man ein Haus umsetzt, im Fachbegriff: transloziert. So hat der Bauunternehmer Hans Heckmann es mit dem „Haus Pielen“ gemacht, das zunächst an der Kuhstraße stand, wo heute die Wambrechiesstraße mündet. Es verfiel und schien dem Untergang geweiht. 1979 wurde seine zerlegte Holzkonstruktion mit einzeln nummerierten Balken zum neuen Platz an der Neustraße gebracht, und jeder kennt es heute als das Restaurant „Et Kempsche Huus“.

 

Knabenkonvikt von 1899 (Bild: Nachlass Karl Wolters)

Knabenkonvikt von 1899 (Bild: Nachlass Karl Wolters)

Es geht auch anders, wenn man zum Beispiel ein Gebäude, das nicht mehr zu halten war, als Fassadengemälde weiter leben lässt. So geschieht es mit diesem Haus aus dem Jahr 1899, dem so genannten dem Knabenkonvikt. Ursprünglich diente es als Wohnquartier für die in der Burg untergebrachten Thomaeer, die von auswärts kamen. 1932 ist hier das Thomas-Lyzeum eingezogen – der Vorgänger des heutigen Luise-von-Duesberg-Gymnasiums.

Als das LvD-Gymnasium seinen Neubau an der Berliner Allee bezogen hat, wird das alte Konviktgebäude im Februar 1967 abgebrochen. 1978 wird auf dem ehemaligen Schulgelände die neue Post errichtet. Aber das alte Haus gerät nicht in Vergessenheit. Im Juni 1979 lässt der in Augsburg lebende Landschaftsmaler Reinhart Heinsdorff das Gebäude wiedererstehen – in dem hier abgebildeten,verblüffend realistischen Farbgemälde. Finanziert hat das Gedächtnisbild ein junger Bauunternehmer – Ralf Schmitz. Das Geld stammt aus dem Erlös von 13 Eigentumswohnungen an der Thomasstraße.

 

Fassadengemälde des Knabenkonvikts

Fassadengemälde des Knabenkonvikts (Bild: Hans Kaiser)

 

Villa Weyland (Bild: Kreisarchiv)

Villa Weyland (Bild: Kreisarchiv)

 

Abgerissen wird dann doch die Villa Weyland an der Ecke Franziskanerstraße/Burgring – ein Bürgerhaus aus wilhelminischer Zeit.

 

Villa Herfeldt (Bild: RP - Werner Königs)

Villa Herfeldt (Bild: RP – Werner Königs)

Trotz zunehmender Bürgerproteste verfahren Stadtrat und Verwaltung weiter nach dem Motto: „Wir trümmern die Altstadt fit!“ Denn was man mehrfach und einstimmig beschlossen hat, das will man nun durchziehen. Am 24. März 1981 wird für alle überraschend ein wahres Kleinod abgerissen: ein Barockschlösschen, die Villa Herfeldt an der Rabenstraße Ecke Donkwall. Ein völlig intaktes Patrizierhaus aus der Kaiserzeit. Weil sie der Kreistierarzt Dr. Heinrich Morgenschweis zur Miete bewohnt, nennt der Volksmund sie auch „Villa Morgenschweis“. Ein Missverständnis, das heute noch Verwechslungen verursacht. Die Rheinische Post schreibt damals von „Radikalsanierung Kempener Machart: stillegen – abwarten – verfallen lassen – abreißen.“

 

Mahnwache auf den Herfeldt-Trümmern (Bild: RP - Werner Königs)

Mahnwache auf den Herfeldt-Trümmern (Bild: RP – Werner Königs)

Kurz nach der Abbruch-Aktion bezieht die Hauptschullehrerin Viktoria Müllenbusch mit einigen Schülerinnen eine Art Mahnwache auf den Herfeldt-Trümmern. So ähnlich, meine Damen und Art, sieht auch unsere Initiative „Denk mal an Kempen“ ihre Aufgabe: Wache halten, damit so etwas nicht noch mal passiert.

 

Peterstraße 20 (Bild: Westdeutsche Zeitung - Kurt Lübke)

Peterstraße 20 (Bild: Westdeutsche Zeitung – Kurt Lübke)

 

Die Abbruchpläne für das denkmalgeschützte Haus Peterstraße 20 waren für uns der Anlass, diese Wache aufzunehmen und unsere Initiative zu gründen.

 

Bild: Hella Furtwängler

Bild: Kreisarchiv

Warum halten wir – im Gegensatz zum Denkmalpfleger der Stadt – dieses Haus für so wertvoll?

Die drei Häuser Peterstraße 19-21 entstammen offensichtlich derselben Baumaßnahme. Sie sind ursprünglich Fachwerkhäuser und wurden wahrscheinlich im 17., vielleicht auch schon im 16. Jahrhundert in einem Zuge errichtet. Während die wohlhabenden Patrizier ihre Häuser im Stadtzentrum erbauten, siedelte hier, zur Stadtmauer, hin, die aus Handwerkern und Kleinbauern bestehende Mittelschicht.

In der Türinschrift des Hauses ist als Besitzer die Familie Klaber nachgewiesen, die in Kempen nicht unwichtig war. Der Schöffe Heinrich Klaber vertrat zum Beispiel die Stadt, als 1715 die große Glocke der Pfarrkirche gegossen wurde.

 

Chronogramm Peterstraße 20

Chronogramm Peterstraße 20 (Bild: Hans Kaiser)

Seit dem 17. Jahrhundert löste auch in Kempen der Häuserbau mit Backstein die Fachwerkbauweise allmählich ab, galt er doch als Ausdruck von Wohlstand und sozialer Geltung. Mehr und mehr wurden nun Fassaden von Fachwerkhäusern mit Backsteinen verkleidet. Diesem Trend folgend, wurde 1776 das Haus Peterstraße 20 anlässlich einer Renovierung mit Backsteinen verblendet. Zur Erinnerung an den Umbau erhielt es über der mit Blaustein eingefassten Tür einen lateinischen Satz, dessen Großbuchstaben die genannte Jahreszahl ergeben – ein so genanntes Chronogramm: „SVM APETRO KLABERE VNDATA NVNC QVE AD HENRICO RENO VATA.“

„1776“ ist auch in Mauerankern auf der Fassade abgebildet.
Das bescheidene, zweiachsige Gebäude aus der Zeit des Rokoko ist in Kempen eines der letzten Häuser, die bis in die Gegenwart zeigen, wie in der Stadt die untere Mittelschicht, das kleine Bürgertum, gebaut hat.

Es gibt nur noch ein zweites vergleichbares Beispiel: Peterstraße 40, ebenfalls ein zweiachsiges, zweigeschossiges Fachwerkhaus, das seine Stuckfassade allerdings erst im 19. Jahrhundert bekam. Würde das Haus Peterstr. 20 abgebrochen, würde das Bild von der Altstadt verfälscht, denn es blieben nur noch die opulenten Gebäude von Großkaufleuten. Wir wüssten nicht mehr, wie damals 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung gewohnt haben.

 

Peterstraße 40

Peterstraße 40 (Bild: Hans Kaiser)

 

Peterstraße 20 heute

Peterstraße 20 heute (Bild: Hans Kaiser)

 

Historische Aufnahme der Peterstraße (Bild: Hella Furtwängler)

Historische Aufnahme der Peterstraße (Bild: Hella Furtwängler)

Das Verschwinden der Hausfassade Peterstraße 20 wäre umso bedauerlicher, weil damit die Peterstraße erneut ein Stück ihres ursprünglichen, kleingliedrigen Charakters verlieren würde. Der überdimensionierte Neubau der Wohnungsbaugesellschaft würde ihr ein Stück ihrer Seele nehmen. Das Haus Peterstraße 20 ist im Ensemble der benachbarten Gebäude das letzte mit der original erhaltenen Fassade Die Attraktivität der Altstadt, die viele Besucher nach Kempen zieht, würde wieder einmal geschmälert.

Die bisherigen Verluste an historischer Substanz sind schlimm genug. Auf diesem Luftbild sind die verdrängten Altbauten nur um den Buttermarkt nach dem Krieg markiert.

 

Luftbild mit markierten verdrängten Altbauten rund um den Kempener Markt

Luftbild mit markierten verdrängten Altbauten rund um den Kempener Markt

„Eigentum verpflichtet“, sagt Artikel 14 des Grundgesetzes und fährt fort: „Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ In § 7 Abs. 1 des Denkmalschutzgesetzes NRW heißt es: „Die Eigentümer und sonstigen Nutzungsberechtigten haben ihre Denkmäler instand zu halten, instand zu setzen, sachgemäß zu behandeln und vor Gefährdung zu schützen, soweit ihnen das zumutbar ist.“ In diesem Sinne muss das Um- bzw. Neubauprojekt an Peterstraße und Donkwall gestaltet werden. Das aber erfordert, dass die denkmalwerten Eigenschaften des Gebäudes Peterstraße 20 erhalten bleiben.