Was passiert auf der Ellenstraße?

Auf der Ellenstraße stehen große bauliche Veränderungen an. Der Bereich hinter der Stadtmauer wurde bereits durch einen Neubau verändert, nun wird das angrenzende Gebäude abgerissen, in naher Zukunft auch die von-Broich-Passage.

Grundsätzlich gilt: Nicht alles was alt ist, ist automatisch erhaltenswert. So auch die genannten Gebäude. Dies hat auch der LVR entsprechend bestätigt. Allerdings befinden sich die Neubauten im Denkmalbereich der Kempener Altstadt. Dieser Bereich dient dazu, ein Stadtbild zu erhalten, das auch beim Verlust alter Substanz grundlegende Aspekte einer historischen Altstadt erhält. Hierbei ist neben der Optik vor allem auch die Höhe der Gebäude entscheidend. Doch dazu später mehr.

Was sagen die Experten?

Bei derartigen Vorhaben die Expertise des LVR- Amt für Denkmalpflege im Rheinland eingeholt, um den Interessen des Denkmalschutzes Gehör zu verschaffen. Und deren Meinung ist eindeutig. So äußert sich Diplom Ingenieurin Julia Kollosche-Baumann: „Grundsätzlich ist die Auffassung des LVR-ADR, dass der Neubau deutlich zu hoch konzipiert worden ist.“ In ihrer Stellungnahme verweist sie weiter darauf, dass die Gebäude in dem Straßenzug in erster Linie zwei Geschosse mit Satteldach aufweisen. Und auf eben diese Zweigeschossigkeit habe man sich auch beim Neubau an der Ecke Ellenstraße/Hessenwall geeinigt. Dazu hat sogar ein Workshop mit Professor Kunibert Wachten stattgefunden.

Der LVR rät eindringlich zu einer Zweigeschossigkeit mit Satteldach, um das ursprüngliche Gefüge und wenigstens das ungefähre Erscheinungsbild an dieser Stelle des Denkmalbereichs zu erhalten.

Wieso soll die Expertenmeinung des LVR erneut einfach beiseite gewischt werden?

Das ist eine gute Frage. Für uns als Kempener Bürgerinnen und Bürger ist nicht nachvollziehbar, weshalb ein privater Investor angehalten wird, bei einem Bau zweigeschossig zu bleiben, während ein anderer offensichtlich Narrenfreiheit genießt. Denn um es auf den Punkt zu bringen: Bei der Planung gibt es erneut nur einen Gewinner – und das ist der Bauherr. Das Bild der Altstadt leidet hingegen weiter und fällt dem kurzfristigen Profitstreben eines einzelnen zum Opfer. Dass hier kein sozialer Wohnungsbau betrieben werden soll, muss eigentlich bei der Entwicklung, die wir seit Jahren in Kempen erleben, nicht mehr extra erwähnt werden.

Wieso müssen wir immer wieder diskutieren?

Das Problem ist vielschichtig. Zum einen ein von uns seit Jahren eingefordertes, fehlendes Konzept für die Kempener Altstadt. Denn fassen wir zusammen: Es werden drei Gebäudekomplexe entstehen, die direkt aneinander liegen. Der erste wurde zweigeschossig ausgeführt, um das Bild der Altstadt nicht weiter zu schädigen. Das zweite soll nun dreigeschossig ausgeführt werden mit einem ausgebauten Mansarddach. Um den Wahnsinn noch deutlicher zu machen: Zur Begründung für die Bauhöhe wird nicht der bereits gebaute Neubau herangezogen – dieser ist ja auch deutlich niedriger. Nein, man beruft sich darauf, dass der noch nicht einmal geplante Neubau der noch nicht einmal abgerissenen von-Broich-Passage ebenfalls dreigeschossig ausgeführt werden könnte.

Eigentlich kann hier nur noch mit dem Kopf geschüttelt werden, bei so viel Dreistigkeit in der Argumentation. Zusammengefasst: „Wir orientieren uns nicht an dem, was gerade wirklich gebaut wurde, sondern daran, wie wir uns vorstellen, wie eventuell zukünftig auf der anderen Seite gebaut werden könnte.“ Eine derartige Argumentation soll uns alle einfach nur für dumm verkaufen.

Warum ist die Höhe überhaupt wichtig?

Wie erwähnt befinden wir uns im Denkmalbereich. Und auch bei Neubauten soll der grundlegende Charakter der Altstadt erhalten bleiben. Doch wie sieht dieser Charakter aus? Historische Stadtkerne zeichnen sich durch eine Bebauung aus, die im Bereich der Stadtmauer niedriger erfolgte, dann bis zum Kirchplatz anstieg und dort ihren Höhepunkt erreichte. Das interessiert nur leider keinen Bauunternehmer und leider auch nur wenige Bauherren. Hier gilt eher die Maxime: höher, breiter und teurer.

Immer ein ähnliches Vorgehen in Kempen

Nun würden wir gerne behaupten, dass dieses Vorgehen in Kempen nicht die Regel wäre, doch leider ist es genau das. Derselbe Architekt ließ vor einigen Jahren die denkmalgeschützte Fassade des Gebäudes An-Sankt-Marien-8 durch massive Eingriffe verändern. Damals wurde in der Vorlage auf brandschutzrechtliche Aspekte hingewiesen, die dies erfordern würden. Wir betonten in der Bürgerfragestunde, dass die Fassade erhalten bleiben könne, indem der zweite Rettungsweg durch ein Dachflächenfenster erstellt würde. Unserer Ausführung stimmte der technische Beigeordnete zu. Dennoch wurde in der anschließenden Abstimmung der massive Eingriff in die Fassade genehmigt. Auch damals dasselbe Bild: Es gab nur einen Nutznießer und dies war wie auch auf der Ellenstraße ein Bauherr und nicht die Allgemeinheit. Dass dies mit ernsthaftem Denkmalschutz nichts zu tun hat und die Altstadt den Preis für den größtmöglichen Profit einiger weniger zahlen muss, wird leider immer wieder deutlich.

Ein fatales Signal

Die aktuelle Entwicklung ist aus mehreren Gründen fatal. Welches Signal sendet das Vorgehen an den Bauherren, der beim Bau Hessenwall/Ellenstraße deutlich unter seinen Möglichkeiten blieb, um das Stadtbild zu schützen? Und vor allem: wieso sollte in Zukunft irgendjemand Rücksicht darauf nehmen? Dass derartige Planungen immer wieder den Denkmalausschuss passieren, ist allerdings auch ein fatales Signal in einer Zeit, in der das Vertrauen in die Politik schrumpft. Stattdessen sollten Planungen von den Parteien kritischer und vor allem im Sinne Kempens behandelt werden. Die Erfahrungen mit dem Workshop bezüglich der Bebauung Ellenstraße/Hessenwall hat gezeigt, dass ein anderer Umgang mit unserer historischen Altstadt möglich ist – es ist bedauernswert, dass nun bei diesem Bauvorhaben wieder in alte Muster zurückgefallen wird.