Bürgerstiftung für die Bürgerburg?
Was ist eine Bürgerstiftung?
Bürgerstiftungen haben ihren Ursprung in den USA. In Cleveland Ohio gründete im Jahre 1914 der Bankdirektor Frederick Goff die Community Foundation, indem er nicht mehr zeitgemäße Vermächtnisse bzw. Stiftungen, die er verwaltete zusammenführte. Sie sollte gemeinnützig sein und helfen, akute Probleme in Cleveland zu lösen. Den Vorstand bildeten Bürger der Stadt. Die Idee der von Gemeinsinn getragenen Bürgerstiftung hat sich im Verlauf der vergangenen mehr als hundert Jahre weltweit verbreitet. Zurzeit gibt es mehr als 1800 Bürgerstiftungen in mehr als 50 Ländern. Eine besondere Verbreitung hat diese Form der Stiftung in Deutschland gefunden. Nachdem in Gütersloh 1996 die erste deutsche Bürgerstiftung entstand, erlebten sie bis heute einen regelrechten Boom. Gegenwärtig gibt es mehr als 400 Bürgerstiftungen in Deutschland, die meisten in NRW (113). Die größte mit einem Stiftungskapital von 44 Mill. Euro ist die Bürgerstiftung Hamburg, die kleinste die Bürgerstiftung Denkendorf (15000 Euro). Die nächstgelegene ist die Bürgerstiftung in Neukirchen-Vluyn. Insgesamt etwa 22000 Ehrenamtler*innen und rund 180 Hauptamtliche sind in Projekten der Bürgerstiftungen tätig. Hinzu kommen ca. 5000 Ehrenamtliche in Gremien.
Was machen Bürgerstiftungen?
In Bürgerstiftungen finden sich Menschen, die sich gemeinsam mit Gleichgesinnten für Probleme vor Ort, für das Wohl ihrer Mitmenschen, für die Weiterentwicklung ihres Dorfes bzw. ihrer Stadt, für Natur- und Landschaftspflege, für das örtliche Kulturangebot, für Fragen der Gestaltung des Stadtbildes und der Denkmalpflege und vieles mehr einsetzen. Häufig benennen sie sich nach ihrem Standort oder einem heimischen Bauwerk. Bürgerstiftungen führen eigene, gemeinnützige Projekte durch oder betätigen sich als Förderer von Vorhaben anderer, die dem Stiftungszweck entsprechen.
Wie entstehen Bürgerstiftungen?
Der Begriff „Bürgerstiftung“ ist nicht klar definiert bzw. geschützt. Er meint eine rechtsfähige Organisationsform als Stiftung bürgerlichen Rechts. Das gesammelte Vermögen dient der Verwirklichung des Stiftungszwecks, verwendet werden lediglich die Erträge, das Vermögen wird im Sinne der Nachhaltigkeit nicht angetastet. Bürgerinnen und Bürger als Einzelpersonen kommen als Gründer*innen in Frage. Als Zustifter sind Unternehmen, Vereine, Banken und Sparkassen oder andere lokal tätige Partner denkbar. Organe einer Stiftung sind Vorstand, Stiftungsrat (Kuratorium) und Stifterversammlung. Dabei ist es unabdingbar, dass niemand die Willensbildung und Entscheidungsfindung dominiert.
Welche Merkmale hat eine Bürgerstiftung?
Im Jahre 2001 haben die Bürgerstiftungen die folgenden 10 Merkmale definiert, die Grundlage für eine Zertifizierung durch den Bundesverband Deutscher Stiftungen sind für jeweils 2 bzw. 3 Jahre sind:
- Eine Bürgerstiftung ist gemeinnützig und will das Gemeinwesen stärken. Sie versteht sich als Element einer selbstbestimmten Bürgergesellschaft.
- Eine Bürgerstiftung wird in der Regel von mehreren Stiftern errichtet. Eine Initiative zu ihrer Errichtung kann auch von Einzelpersonen oder einzelnen Institutionen ausgehen.
- Eine Bürgerstiftung ist wirtschaftlich und politisch unabhängig. Sie ist konfessionell und parteipolitisch nicht gebunden. Eine Dominanz einzelner Stifter, Parteien, Unternehmen wird abgelehnt. Politische Gremien und Verwaltungsspitzen dürfen keinen bestimmenden Einfluss auf Entscheidungen nehmen.
- Das Aktionsgebiet einer Bürgerstiftung ist geografisch ausgerichtet: auf eine Stadt, einen Landkreis, eine Region.
- Eine Bürgerstiftung baut kontinuierlich Stiftungskapital auf. Dabei gibt sie allen Bürgern, die sich einer bestimmten Stadt oder Region verbunden fühlen und die Stiftungsziele bejahen, die Möglichkeit einer Zustiftung. Sie sammelt darüber hinaus Projektspenden und kann Unter-stiftungen und Fonds einrichten, die einzelne der in der Satzung aufgeführten Zwecke verfolgen oder auch regionale Teilgebiete fördern.
- Eine Bürgerstiftung wirkt in einem breiten Spektrum des städtischen oder regionalen Lebens, dessen Förderung für sie im Vordergrund steht. Ihr Stiftungszweck ist daher breit. Er umfasst in der Regel den kulturellen Sektor, Jugend und Soziales, das Bildungswesen, Natur und Umwelt und den Denkmalschutz. Sie ist fördernd und/oder operativ tätig und sollte innovativ tätig sein.
- Eine Bürgerstiftung fördert Projekte, die von bürgerschaftlichem Engagement getragen sind oder Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Dabei bemüht sie sich um neue Formen des gesellschaftlichen Engagements.
- Eine Bürgerstiftung macht ihre Projekte öffentlich und betreibt eine ausgeprägte Öffentlichkeitsarbeit, um allen Bürgern ihrer Region die Möglichkeit zu geben, sich an den Projekten zu beteiligen.
- Eine Bürgerstiftung kann ein lokales Netzwerk innerhalb verschiedener gemeinnütziger Organisationen einer Stadt oder Region koordinieren.
- Die interne Arbeit einer Bürgerstiftung ist durch Partizipation und Transparenz geprägt. Eine Bürgerstiftung hat mehrere Gremien (Vorstand und Kontrollorgan), in denen Bürger für Bürger ausführende und kontrollierende Funktionen innehaben.
(Quelle: Arbeitskreis des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen)
Braucht Kempen eine Bürgerstiftung?
Die Corona-Krise stellt die Kommunen vor große Herausforderungen und Probleme von vorher nicht geahnten Ausmaßen. Dem verordneten Stillstand folgen massive Einbrüche bei Steuern und Gebühreneinnahmen, steigende Arbeitslosenzahlen, vermehrte Kurzarbeit und Insolven-zen. Gleichzeitig gilt es Maßnahmen zu entwickeln und zu begleiten, die die notwendigen Impulse bringen.
Schon vor der Corona-Krise und dem Lockdown stand die Stadt Kempen vor gewaltigen Aufgaben: Rathausgebäude, Burg, Schulen, Kindergärten, Klimaschutz, Verkehrswende, Digitalisierung, Wohnungsbau und vieles mehr. Prognosen stellten eine Verdopplung der städtischen Schulden in den Raum. Diese Aufgaben sind nicht weniger dringlich geworden, allerdings hat sich die Haushaltslage dramatisch verschlechtert. Das kann natürlich Verän-derungen in der Priorisierung von Aufgaben hervorrufen. Der Umbruch in der Verwaltung wird sich fortsetzen, da der amtierende Bürgermeister nicht mehr kandidiert und nach der Kommunalwahl ein neuer Bürgermeister die Verwaltung führen und einem neu gewählten Rat vorsitzen wird. Zu befürchten ist, dass die Burg weiter aus dem Blickfeld gerät und Bestrebungen wieder Fahrt aufnehmen, sich davon zu trennen und eine Privatisierung anzustreben. Wenn im Verlaufe des nächsten Jahres die Archive die Burg verlassen haben werden, wird sich mit Nachdruck die Frage nach der Zukunft der Burg und einem tragfähigen, nachhaltigen Nutzungskonzept stellen.
Im Februar 2018 entschied der Rat der Stadt nach einer kontroversen Debatte mit großer Mehrheit, dass die Stadt die Burg, die damals im Besitz des Kreises war, ankaufen sollte. Für diese Übernahme ihrer Burg hatten sich große Teile der Bürgerschaft eingesetzt. Fast 2400 Kempener*innen nahmen an einer Umfrage von „Denkmal an Kempen“ teil. Die von Bürgermeister Rübo in den Raum gestellte Idee der Bürgerburg findet sicherlich ihre Rechtfertigung in der sehr deutlich gewordenen Identifikation der Bevölkerung mit diesem herausragenden Denkmal.
Eine Bürgerstiftung böte die Chance einer dauerhaften aktiven Verbindung der Kempener*innen mit ihrer Bürgerburg. Sie könnten sich mit Spenden, guten Ideen und durch Nutzung der Angebote einbringen und wie auch Vereine, Unternehmen, Institutionen an Überlegungen zu Planungs- und Veränderungsprozessen und Konzeptentwicklungen beteiligen.
Die schlechteste Phase erlebte unsere Burg im 19. Jahrhundert in privater Hand. Es gilt, wegen dieser Erfahrungen eine Neuauflage einer Privatisierung nach Möglichkeit zu verhindern. Eine Bürgerstiftung könnte eine dauerhafte Lösung sein, denn die Burg sollte, wie es der Name Bürgerburg besagt, nicht nur den Bürger*innen gehören, sie sollten auch regen Anteil am Geschehen in ihrer Burg haben. Auch wenn es in Folge der Belastungen, die die Corona-Krise nach sich ziehen wird, schwierig werden dürfte, derartige Vorhaben umzusetzen, sind Engagement für das Gemeinwesen und Bürgersinn wichtiger denn je und könnten sich hier beweisen.
Heinz Wiegers